Tag 9: Refuge de l’Onda – Refuge de Manganu

Die reguläre Etappe für heute sah vor, dass die 9,8 km entfernte Refuge de Petra Piana angesteuert wird. Das Höhenprofil zeigte einen Aufstieg von 910 m und einen Abstieg von 450 m. Als Dauer waren 4:20 Stunden angegeben. Allerdings stand auch eine alpine Variante zur Verfügung, zu der mir allerdings kein Höhenprofil vorlag. Wie der Name schon vermuten lässt, sollte der Weg im Vergleich zur normalen Route durch etwas höhere Regionen führen. Mir lag lediglich die Information vor, dass für die alpine Variante nur 3:20 Stunden benötigt werden sollten. Daher grübelte ich bereits am Vorabend mit Flo, ob wir am heutigen Tag doppeln sollten, da man die Refuge de Petra Piana über die alpine Variante schon am späten Vormittag erreichen würde. Doppeln heißt in diesem Fall, dass statt einer Etappe zwei Etappen gelaufen werden. Somit würde noch die Etappe von der Refuge de Petra Piana bis zur Refuge de Manganu rangehangen werden. Das heißt konkret zusätzlich 8,4 km Strecke, 5:55 Stunden Gehzeit, 580 m Aufstieg und 825 m Abstieg. Addiert mit der vorherigen Etappe dann schon ein ordentliches Brett.

Alpine Variante vs. Standardvariante

Die Nacht war äußerst ungemütlich, da das stürmische Wetter vom Vorabend die ganze Nacht über anhielt. Teilweise kamen noch leichte Schauer hinzu. Beides sorgte dafür dass meine Nacht nicht einmal ansatzweise erholsam war. Erst als bereits der ganze Zeltplatz am Wuseln war stand ich gegen 6:00 Uhr auf. Der erste Blick aus dem Zelt zeigte mir, dass die Wolken extrem tief hingen und ziemlich dunkel waren. Es sah wirklich ungemütlich aus. Ich erinnerte mich hinsichtlich der alpinen Variante sofort an die zwei Sätze aus meinem Wanderführer: „Achtung: Die Strecke bietet keinerlei Schutz und ist sehr windanfällig. Deshalb sollte sie nur bei schönem Wetter begangen werden.“ Während ich mein Zelt abbaute und meine Ausrüstung verstaute grübelte ich die ganze Zeit, ob ich die alpine Variante tatsächlich laufen sollte. Irgendwann siegte dann doch die Leichtsinnigkeit und ich entschied mich trotz des schlechten Wetters für die alpine Variante. Bevor ich 6:30 Uhr aufbrach machte ich noch einen kurzen Abstecher zu Flo, um in Erfahrung zu bringen wie sein heutiger Plan aussieht. Auch er entschied sich für die alpine Variante und wollte dann doppeln. Ich sollte ihn also spätestens am Abend in der Refuge de Manganu wiedersehen.

Die alpine Variante zur Refuge de Petra Piana

Als erstes stand ein Aufstieg an, denn die Refuge lag in einem Tal und ich musste wieder auf den höher gelegenen Weg von gestern zurück. Dort angekommen konnte ich schon die ersten Wegmarkierungen der alpinen Variante sehen – 2 gelbe Striche. Der Anblick der tief hängenden Wolken ließ mich immer wieder pausieren und staunen, da es einfach so surreal wirkte. Problematisch wurde es, nachdem ich die ersten hundert Meter auf der alpinen Variante zurückgelegt hatte. Plötzlich war ich inmitten der Wolken unterwegs. Die Sichtweite beschränkte sich auf nur wenige Meter und die Wolken verschluckten einen Großteil des Lichts.

Unterwegs in den Wolken auf der alpinen Variante zur Refuge de Petra Piana
Unterwegs in den Wolken auf der alpinen Variante zur Refuge de Petra Piana

Die eigentlich dicht beieinanderliegenden Wegmarkierungen waren somit nicht mehr sichtbar. Normalerweise wäre dies kein Problem gewesen, da man eigentlich nur dem ausgetretenen Pfad folgen musste. Aber der Berghang war dermaßen zerfurcht und es gab unzählige Wege, so dass ich tatsächlich auf die Wegmarkierungen angewiesen war. Da die Wegmarkierungen nur sehr schwer sichtbar waren, musste ich nach jeder gefunden Wegmarkierung stehen bleiben und teilweise bis zu 2 Minuten nach der nächsten Wegmarkierung Ausschau halten. Manchmal war es auch notwendig erst einige Meter in eine Richtung zu laufen um die nächste Markierung sehen zu können. Konnte ich keine entdecken, kehrte ich zur letzten Wegmarkierung zurück und nahm nochmal einen anderen Weg. Die Orientierung fiel enorm schwer, da es keine nennenswerten Merkmale in der Landschaft gab. Um mich herum war alles weiß, das Verlieren der Orientierung relativ einfach. Kurzzeitig machte sich ein ungutes Gefühl in mir breit. Da ich aber mit einer GPS-App ausgestattet war, konnte ich dieses Gefühl schnell wieder abschütteln.

Der starke Wind sorgte dafür, dass ich relativ schnell auskühlte und daher zügig auf meine winddichte Softshelljacke wechselte. Trotzdem suchte ich einige Male Schutz hinter großen Felsen um mich etwas aufzuwärmen. Nach einiger Zeit guckte ich auf meine Schuhe und sah dabei, dass meine Beine total nass waren. An meiner Beinbehaarung hingen Wassertropfen. Danach fasste ich mir in die Haare und musste feststellen, dass diese ebenfalls total nass waren. Als ob ich aus der Dusche gekommen wäre. Da wurde mir erstmal bewusst, wie nass es in den Wolken eigentlich ist. Das folgende Video spiegelt audiovisuell ein wenig die Atmosphäre wieder.

Nach 1,5 Stunden erreichte ich den Gipfel und war zeitgleich auch aus der Wolkendecke raus. Genau in diesem Moment flog ein Helikopter nur knapp über meinen Kopf hinweg. Vermutlich war wieder irgendjemand verunglückt und musste geborgen werden.

Herumliegende Wolken ヾ(・ω・。)シ
Herumliegende Wolken ヾ(・ω・。)シ

Die Anblicke die sich mir jetzt bieten sollten waren einfach traumhaft. Überall lagen nach Watte aussehende Wolken auf den Wegen und Bergen herum. Ein Anblick an den ich mich einfach nicht gewöhnen konnte.

Auf dem Gipfel holte mich Flo ein, so dass wir von da an gemeinsam den weiteren Weg bestritten. Er erzählte mir, dass er in den Wolken falsch abgebogen war und einige Zeit in eine falsche Richtung gelaufen ist bis er dann in einer Sackgasse landete. Zum Glück blieb mir so etwas erspart. Der restliche Weg zeigte ein atemberaubendes Panorama nach dem anderen und war mit etlichen einfachen Klettereinlagen gespickt. Wolken mussten nicht mehr durchquert werden aber der Wind wurde zunehmend stärker. Gefühlt musste ich schräg laufen und mich stark mit meinen Trekkingstöcken abstützten, damit mich der Wind nicht umwehte. Besonders durch den Rucksack hatte der Wind eine große Angriffsfläche. Wie im Wanderführer angegeben, erreichte ich die Refuge de Petra Piana nach 3:30 Stunden gegen 10:00 Uhr.

Auf dem Weg zur Refuge de Manganu

An der Hütte gab es dann erstmal Frühstück. Eine Orangina und extrem zuckerhaltige Biscuits. Wir ruhten uns dann noch etwas in der Sonne aus und füllten unsere Wasserflaschen auf. Da laut Wanderführer die beiden Quellen auf dem Weg zur Refuge de Manganu im Sommer möglicherweise ausgetrocknet sein konnten, füllte ich vorsichtshalber 3 Liter Wasser ab. Danach machten wir uns auf den Weg. Es ging direkt mit einem Anstieg von 300 Höhenmetern los was wieder sehr kräftezehrend war. Angekommen auf der 2210 m hoch gelegenen Bocca Muzzella legten wir erstmal eine kurze Verschnaufpause ein. Weiter ging es im hochalpinen Gelände, vorbei an den uralten Bergseen Lac de Melo und Lac de Capitello, die noch aus der letzten Eiszeit von vor 20.000 Jahren stammen. Ein wirklich toller Anblick. Der weitere Weg führte uns dann über Geröllfelder, die aus metergroßen Steinen bestanden, so dass man sich keinen Fehltritt erlauben durfte.

Da ich genug Wasser mitgenommen hatte, konnten wir gegen 13:00 Uhr eine Mittagspause einlegen. Ich kochte mir einen Jägertopf (Nudeln mit Rindfleisch) um wieder zu Kräften zu kommen. Nach 6 Stunden laufen und vielen Anstiegen merkte ich langsam, dass die Kräfte nachließen und das Weiterlaufen immer schwieriger wurde.

Weiter ging es mit einem letzten Anstieg von ca. 200 m bis hoch zur Brèche de Capitello, die auf 2245 m lag. Auf dem Weg dorthin stand uns nochmal eine wirklich abartige Kletterei bevor. Fehltritte sowie das Fehlen der notwendigen Kraft wären an diesem Punkt fatal gewesen. Schon allein das Hochziehen des eigenen Körpergewichts + 20 kg Rucksack dürfte wohl viele Menschen an ihre Grenze gebracht haben.

Extreme Kletterei auf dem Weg zur Brèche de Capitello
Extreme Kletterei auf dem Weg zur Brèche de Capitello
Armkraft unerlässlich!
Armkraft unerlässlich!
Fast senkrechte Felswände mit Ketten
Fast senkrechte Felswände mit Ketten

Nachdem die Kletterstelle überquert und die Brèche de Capitello erreicht war, warf ich nochmal einen letzten Blick auf die Bergseen und dann ging es über 600 Höhenmeter bergab. Meine Knie schrien wieder um Hilfe und ich versuchte so behutsam wie möglich zu laufen. Da es aber erstmal große Geröllfelder herunterging, war dies leider nur bedingt möglich.

Refuge de Manganu

So langsam tauchte wieder die erste Vegetation in Form von Büschen auf und gegen 15:30 Uhr erreichten wir dann die Refuge de Manganu. Aufgrund, dass wir heute gedoppelt hatten, war der Zeltplatz schon brechend voll. Wir mussten also mit den Stellplätzen vorlieb nehmen, die noch drüber geblieben sind. Aufgrund meines kleinen Zeltes, konnte ich glücklicherweise noch einen einigermaßen akzeptablen Zeltplatz ergattern. In der Hinsicht ist ein kleines Zelt wirklich praktisch, da es einfach überall hinpasst. Eine weitere Konsequenz durch unser doppeln war, dass wir nur noch fremde Gesichter gesehen haben. Alle Leute die ich die letzte Woche kennengelernt hatte, hingen nämlich in der Refuge de Petra Piana.

Flo und ich freundeten uns sofort mit einigen Franzosen und Belgiern an. Diese berichteten uns, dass einer ihrer Freunde bereits aufgrund von massiven Kniebeschwerden abbrechen musste. Das konnte ich mir wirklich nur zu gut vorstellen, denn auch meine Knie schmerzten heute wieder massiv. Zudem sah ich viele Leute mit Kniebandagen und diversen Tapekonstruktionen, die das Knie stabilisieren sollten. Ich fragte mich, ob und wie so ein Verband helfen sollte.

In der Refuge de Manganu
In der Refuge de Manganu

Nachdem ich mir eine Cola und ein paar Chips gegönnt hatte, ging es ans Zelt aufbauen. Anschließend gab es eine schön frische Dusche mit eiskaltem Wasser und einen Teller mit Käse und einem Stück Baguette. Flo steuerte eine Falsche Rotwein dazu und lud mich zum Trinken ein. Nun fühlte ich mich wie ein echter Franzose – Käse, Baguette und Rotwein :D. Interessanterweise wurde es abends dermaßen kalt, dass ich trotz Fließjacke und Softshelljacke fror. Ein wirklich unschönes Gefühl wenn man friert und es keine Möglichkeit gibt sich irgendwo aufzuwärmen. Ich kam daher Flos Einladung nach, mit ihm eine heiße Suppe zu essen. Diese wärmte mich dann glücklicherweise auf und danach ging es direkt in den Schlafsack. Schließlich war es schon 21:00 Uhr und wir waren beide ziemlich erschöpft von den 2 zurückgelegten Etappen.

Weitere Impressionen des Tages

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