Für den heutigen Tag stand bereits fest, dass ich die letzten beiden Etappen an einem Stück durchziehen werde. Somit stand erst die Etappe nach Ortu di u Piobbu an und im Anschluss die Etappe nach Calenzana. Insgesamt erwartete mich somit eine Strecke von 18 km, für die 9:40 Stunden veranschlagt wurden. Mir war also schon klar, dass mich die letzten 2 bis 3 Stunden wieder an meine körperlichen Grenzen treiben werden. Durch das Zusammenlegen der beiden Etappen standen mir zudem 1025 m Aufstieg und 2005 m Abstieg bevor. Besonders der enorme Abstieg ließ mich schon ein wenig daran zweifeln, ob meine Knie das überhaupt zulassen. Theoretisch existiert auch eine Abkürzung, die direkt von der Refuge de Carozzu nach Calenzana führt, aber diesen Weg zu nehmen wäre eine Art Selbstbetrug gewesen.
Aufbruch in völliger Dunkelheit
5:45 Uhr klingelte bereits mein Wecker, damit ich wie geplant sehr zeitig starten konnte. Schließlich erwartete mich hinter der Refuge de Carozzu direkt ein 600 m steiler Anstieg. Da Flo vor mir starten wollte, verabschiedeten wir uns gestern Abend bereits voneinander. Letztendlich kam aber alles ganz anders und Flo startete erst nach mir. Somit war klar ich würde ihn unterwegs nochmal wiedersehen, da er generell etwas schneller als ich unterwegs war. 6:15 Uhr machte ich mich dann auf den Weg. Von der Sonne war noch nichts zu sehen, so dass ich mit meiner Stirnlampe loszog.
Der Weg war in der Dunkelheit ziemlich anspruchsvoll. Allerdings dauerte es nicht lange bis die ersten Sonnenstrahlen hinter dem Berg hervorschauten. Der Aufstieg gestaltete sich dann trotzdem relativ schwierig, da erst sehr viel Geröll überquert werden musste und dann noch einige Kletterstellen folgten. Gestern kreiste über diesem Areal für eine halbe Stunde ein Rettungshubschrauber, da sich wohl eine Frau verletzt hatte. Nicht weiter verwunderlich bei der Wegbeschaffenheit. Nach nur 90 Minuten hatte ich bereits die 600 Höhenmeter erklommen und war somit ganze 15 Minuten schneller als vom Wanderführer vorgegeben. Auf dem auf 1865 m hoch gelegenen Bocca Innuminata holte mich dann auch Flo ein und zog relativ zügig an mir vorbei. Sein Ziel war es so zeitig wie möglich in Calenzana anzukommen, da er sich mit seinen Freunden in Calvi treffen wollte. Ich hingegen hatte nicht zwingend vor direkt bis nach Calvi zu reisen und wanderte somit in einem für mich angenehmen Tempo.
Der Weg nach Ortu di u Piobbu
Die nächsten 1,5 km führten mich am Kamm entlang. Wieder einmal warteten einige relativ gefährliche Kletterstellen auf mich, die ich allerdings mit genügend Vorsicht ohne Verletzungen meistern konnte. Mit der Zeit zogen immer mehr dunkle Wolken auf und auch ein starker Wind gesellte sich dazu. Die hohe Luftfeuchtigkeit sorgte wieder für feuchte Haare und der starke Wind für eine entsprechende Sturmfrisur. Auch meine Softshelljacke musste ich mir wieder überziehen um nicht auszukühlen. Als ich dann den höchsten Punkt der heutigen Doppeletappe auf 2041 m erreicht hatte, kamen mir die ersten Nord-Süd Trekker entgegen. Einige beglückwünschten mich bereits, dass ich es fast geschafft habe den kompletten GR20 zu laufen. Allerdings war mir klar, dass ich noch ein ganzes Stück vor mir hatte, denn aktuell hatte ich gerade einmal die Hälfte der ersten Teiletappe (Refuge de Carozzu nach Ortu di u Piobbu) hinter mich gebracht.
Als nächstes lagen 500 m Abstieg vor mir. Der Weg führte über große Granitblöcke und war relativ einfach. Der Blick ins Tal zeigte mir bereits, dass die Baumgrenze nicht mehr weit ist und bald wieder etwas mehr Leben in die sehr steinige Umgebung einzieht. Immer mehr Menschen kamen mir entgegen. Viele waren sich glaube ich nicht wirklich bewusst worauf sie sich eingelassen hatten, denn schon meine Information, dass es die nächsten Tage kein Handyempfang geben wird, verursachte Panik. Da fragt man sich doch, was die Leute mitten in den Bergen erwarten?! Aufgrund der dunklen Wolkendecke war von der Sonne immer noch nichts zu sehen. Da hätte ich gar nicht in der Dunkelheit starten brauchen. Aber okay, dass konnte ich vorher nicht wissen.
Refuge d’Ortu di u Piobbu
Gegen 11:00 Uhr erreichte ich nach nur 4:45 Stunden bereits die Refuge d’Ortu di u Piobbu. Aus meinem Plan dort etwas Nahrung zu kaufen und entspannt dort zu frühstücken ist dann leider nichts geworden, da der Hüttenwirt lieber die Toiletten putzen wollte als mir etwas zu verkaufen. Somit würgte ich mir mit viel innerem Widerstand einen Energieriegel runter und unterhielt mich ein wenig mit den Hüttengästen. Auf meine initiale Frage, ob man denn hier frisches Brot kaufen könne fing gleich einer der deutschsprachigen Gäste an mich in einem langem Monolog zu belehren, wie ich denn auf die Idee komme, dass es in den Bergen frisches Brot gibt und dass ich mir das für den restlichen GR20 aus dem Kopf schlagen kann. Ich erwiderte, dass ich den GR20 fast hinter mir habe und heute mein letzter Tag ist. Daraufhin wusste er dann nicht mehr was er sagen soll. Nun gut. Nachdem ich mich ein wenig ausgeruht und ich mich mit den englischsprachigen Hüttengästen ausgetauscht hatte, machte ich mich nochmal auf den Weg zur 200 m entfernten Wasserquelle. Schließlich musste ich meine Wasservorräte noch einmal auffrischen. Danach ging es dann direkt los in die zweite Teiletappe.
Unterwegs nach Calenzana
Bevor es tatsächlich nur noch bergab ging, musste ich nochmal einen kleinen Berg erklimmen. Aus meinem entspannten Spaziergang wurde dann leider auch nichts, denn der Weg nach unten war teilweise wirklich anspruchsvoll. Immer wieder taten sich sehr steile Abhänge auf, so dass Ketten in die Bergwände geschlagen wurden. Somit musste ich wieder mithilfe der Ketten runterklettern.
Erschwerend kam hinzu, dass die Hitze wieder brutal drückte. Es fühlte sich so an, als ob ich wieder auf dem GR20 Süd unterwegs sei. Zeitweise kamen mir wieder sehr viele Menschen entgegen, die in die 1. Nord-Süd Etappe gestartet sind. Interessant fand ich eine Gruppe, die ihren Freund in der Wildnis abholen musste, da er dehydriert zu nichts mehr in der Lage war. Das zeigte mir wieder sehr deutlich, dass ausreichend Wasser einfach elementar ist. Glücklicherweise hatte ich immer ausreichend Wasser mit, da ich meine Lektion bereits in Nepal gelernt habe. Nur auf der aktuellen Etappe war ich mir nicht so sicher, ob die 3 Liter Wasser reichen würden. Denn es war wirklich extrem heiß und es sollte keine Quellen mehr unterwegs geben. Einen Teil des Weges konnte ich dann in Wäldern auf Serpentinen laufen. Meine Knie schmerzten bereits und trotz des schattigen Waldes drückte die Hitze enorm. Eine Pause kam nicht infrage, da ich schon zu erschöpft war und ich danach nicht mehr hochgekommen wäre.
Mit dem Ziel vor Augen pushte ich mich immer weiter. Das letzte Stück der Strecke musste ich dann in der prallen Sonne zurücklegen. Ich fühlte mich wie in den ersten Tagen. Mein Gesicht war knallrot, der Schweiß lief in Strömen und mein Wasser hatte ich bereits stark rationiert. Als mir Leute entgegen kamen, die in der prallen Mittagssonne starteten und bereits nach nur einem Kilometer knallrot waren und ziemlich fertig aussahen, dachte ich mir auch nur, dass das schon an Dummheit grenzt. Das sind dann Kandidaten die den GR20 abbrechen oder dehydrieren.
Ende des GR20
15:30 Uhr erreichte ich dann mit letzter Kraft Calenzana – das Ende des GR20. Erleichterung und Freude machte sich in mir breit. Ich hatte es tatsächlich geschafft den GR20 innerhalb von 13 Tagen zu bezwingen. Ich riss beide Arme in die Luft und freute mich einfach riesig. Hinter mir hörte ich dann nur „Bist du den ganzen GR20 gelaufen?“. Nachdem ich dies bejaht hatte, gratulierte man mir zu meinem Erfolg. Welch tolles Gefühl. Auch meine Schuhe haben bis zum letzten Meter gehalten. Allerdings war das Tape nun komplett aufgebraucht, da ich unterwegs nochmal meine Schuhe kleben musste.
Aufenthalt in Calenzana
In Calenzana steuerte ich als erstes den SPAR Supermarkt an. Denn mein Körper schrie förmlich nach Zucker. Als erstes kaufte ich mir eine 6-er Packung Eishörnchen. Da ich auf dem kleinen Parkplatz vor dem SPAR kein schattiges Plätzchen finden konnte, setzte ich mich am Rand des Parkplatzes auf eine kleine Mauer und begann dann ein Eis nach dem anderen zu verspeisen. Während ich mein 2. Eis verzehrte kam eine Mutter mit ihrem Kind zu mir. Man wollte einen kleinen Familienstreit schlichten, da die Familie eine Packung Wassereis gekauft hatte aber der Sohn ein Milcheis haben wollte. Ich sollte die Lösung sein, denn man hatte gesehen wie ich mit einer ganzen Packung Milcheis über den Parkplatz geschlendert bin. Man fragte daher, ob man ein Eis haben könne. Da sprach natürlich nichts dagegen, denn was sollte ich auch mit 6 Eis?! Von daher wollte ich dem Sohn das Eis schenken. Allerdings wollte mir die Mutti unbedingt Geld für das Eis geben. Nachdem ich das Geld mehrmals abgelehnt hatte musste ich mich dann doch geschlagen geben. Wir unterhielten uns dann noch ein wenig über den GR20 sowie Calenzana als Urlaubsort und dann zog die Familie weiter.
Nachdem ich die 5 Eishörnchen verspeist hatte, kaufte ich mir ein Baguette und 300 g Käse. Wieder setzte ich mich auf meine kleine Mauer am Rande des Parkplatzes und begann mein Baguette und den Käse zu essen. Nur wenig später kam dann eine französische Familie vorbei. Die Mutter ging mit ihren Kindern einkaufen und der Vater setzt sich zu mir auf die Mauer. Also irgendwas hatte ich heute an mir, was die Menschen anzog. Ich quatschte dann mit dem Franzosen über den GR20, Camping und über Radrennsport auf Korsika. Nachdem seine Familie zurück war, zog er dann weiter. Auch ich machte mich dann auf den Weg zum Zeltplatz in Calenzana. Schließlich hatte ich keine Lust mehr mich um den Weg nach Calvi zu kümmern.
Zeltplatz in Calenzana
Nachdem ich den Zeltplatz über meine App lokalisiert und zu Fuß erreicht hatte, lief das übliche Prozedere ab. Ich kaufte meinen Zeltstellplatz und baute mein Zelt auf. Als ich dann noch ein wenig das schöne Wetter genoss, kam auf einmal Flo angelaufen. Seine Pläne hatten sich etwas geändert und er wollte die Nacht auch noch auf dem Zeltplatz verbringen. Wir zelebrierten dann den erfolgreichen Abschluss des GR20 und kauften dafür noch einmal im SPAR ein. Gekocht wurden Tortellini mit Bolognese. Allerdings wollten meine Augen mehr als mein Magen vertragen hat, so dass noch eine ganze Menge drüber blieb. Allerdings konnte ich den Rest dann noch an einen Trekker verschenken, der nachts ausgehungert am Zeltplatz ankam. Auch auf diesem Zeltplatz konnte ich wieder einige Leute kennenlernen. Da wäre der Franzose mit seiner Familie gewesen, den ich bereits auf dem SPAR Parkplatz getroffen habe. Ein Franzose der in der Schweiz arbeitet und Deutsch lernt und ein deutsches Pärchen, das bereits seit 2 Tagen auf dem Zeltplatz übernachtet, da sich der Mann mit einer Erkältung rumschlug. Von daher war es wieder ein sehr unterhaltsamer Abend. Ich gönnte mir noch eine Dusche, da ich die letzten Tage ja nicht die Gelegenheit dazu hatte und fühlte mich endlich wieder wie ein Mensch. Danach ging es auch schon ins Zelt, schließlich war es schon wieder dunkel draußen.